26.02.2009 08:57 (Kommentare: 0)
Schweriner Volkszeitung | 26. Februar 2009 | von Torsten Roth
SCHWERIN - Jeder zehnte Schüler ohne Abschluss, den höchsten Anteil von Kindern in einer Förderschule, jeder vierte Junge kompetenzarm: MV steckt in der Bildungskrise und setzt die Wirtschaft damit unter Druck. Den Firmen gehen die Fachkräfte aus. Wissenschaftler fordern mehr präventive und frühkindliche Bildung.
Sie
lässt an Deutschlands und Mecklenburg-Vorpommerns Bildungspolitik kaum
ein gutes Haar. Zwar erreichten die Ausgaben für Schulbildung in MV
gemessen am Bruttoinlandsprodukt den höchsten Anteil, sagte Prof. Jutta
Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für
Sozialforschung gestern auf einem Arbeitsmarktforum der
Regionaldirektion Nord in Schwerin. Und trotzdem gebe es in MV den
bundesweit höchsten Anteil von Schülern ohne Abschluss - nicht, weil
die Kinder dümmer seien als in Bayern. Allmendinger: MV leide unter
Defiziten im Bildungssystem.
Das wird die Wirtschaft schon in
Kürze zu spüren bekommen. In einigen Bereiche würden bereits die
Fachkräfte knapp, erklärte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). Im
Land steige der Bedarf an guten Fachleuten. Gleichzeitig gebe es aber
weniger Bewerber auf einen Ausbildungsplatz als Stellen. Schlechte
Ausbildung, dramatischer Bevölkerungsrückgang: Die Unternehmenschefs
beklagen immer wieder die fehlende Ausbildungsreife von Schulabgängern.
So sei der Fachkräftebedarf nicht zu decken, kritisierte Allmendinger.
Langfristig werde die demografische Entwicklung viel gefährlicher sein,
als die drohende Wirtschaftskrise, erklärte Jürgen Goecke, Chef der
Landesarbeitsagentur, und forderte die Unternehmen auf, die aufgrund
der Wirtschaftskrise vielerorts begonnene Kurzarbeit für die
Qualifizierung der Beschäftigten zu nutzen. Die Situation ist prekär:
Bis 2010 werde sich nur noch ein Drittel der Schulabgänger von 1996 um
eine Lehrstelle bewerben, sagte Sellering. Das reiche nicht, um den
Bedarf an Auszubildenden zu decken. Die Zeit, als es keine Lehrstellen
mehr gab, "ist vorbei". Um sich ihre Fachkräfte zu sichern, müsse die
Wirtschaft aber auch "für gute Arbeit gutes Geld zahlen".
MV
beginnt umzusteuern: Bis 2020 solle die Zahl jener, die ohne Abschluss
die Schule verlassen, halbiert werden, kündigte Sellering an. Auch
müsse der Anteil von Abiturienten von derzeit 33 auf 40 Prozent steigen
und die Ausbildungsfähigkeit der Bewerber verbessert werden. Sellering:
MV müsse bei der Bildung "einen Gang hochschalten". Das reicht der
Soziologin Allmendinger nicht: Die Zahl der Schulabgänger zu drücken
dürfe nicht zu Lasten der Kompetenzen gehen, sagte sie und forderte
eine frühere Bildung in Kindergärten. Vor allem in den alten Ländern
müssten die Vorbehalte gegen eine frühkindliche Erziehung abgebaut
werden.
Deutschland sei für Zwei- und Dreijährige ein "bildungsunfreundliches Land". Vorschulung werde noch immer mit dem Entzug von Kindheit gleichgestellt, sagte Allmendinger. Dabei ließen Bildungsinvestitionen in Zwei- und Dreijährige eine höhere Rendite erwarten als Investitionen in 18-Jährige.
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