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Wie viel Kompromiss darf es denn sein, Herr Bildungsminister?

29.05.2012 09:17 (Kommentare: 0)

Aktion Mensch-Blog |Margit Glasow | vom 29.05.2012

Dass am 5. Mai an der Universität Rostock der erste Inklusionskongress Mecklenburg-Vorpommerns stattfinden sollte, hielt ich zunächst für ein sehr wichtiges Signal in Sachen Inklusion. Erklärtes Ziel war es, sich gemeinsam mit Lehrern, Eltern, Gewerkschaftern, Verbandsvertretern und Wissenschaftlern darüber auszutauschen, wie alle Kinder – mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf – in der Schule gemeinsam lernen können. Als ich jedoch am Nachmittag dieses Frühsommertages den Kongress verließ, hatte ich nicht das Gefühl, dass eine Entwicklung in die richtige Richtung in baldige Nähe gerückt war.

In seiner Eröffnungsrede betonte der Bildungsminister Mathias Brodkorb zunächst die Brisanz des Themas für die 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schulen in Mecklenburg-Vorpommern. Die über 800 Anmeldungen für diesen Kongress wären seiner Meinung nach ein Beleg dafür, dass es Probleme bei der Umsetzung des Inklusionsgedankens an den Schulen gäbe, der Diskussionsbedarf und das Interesse an Aufklärung jedoch groß seien. Deshalb sei auch Ende vergangenen Jahres eine Expertenkommission gegründet worden, die Empfehlungen zur Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Perspektive bis zum Jahr 2020 erarbeiten soll. (Im Audimax, dem größten – und barriereärmsten – Hörsaal der Rostocker Universität, fanden dann allerdings nur 500 Besucher Platz.)

Nach Auffassung von Brodkorb müsse man drei Grundsätze in diesem Zusammenhang beachten: Zum einen würde der Prozess länger dauern als erwartet. Zum anderen müssten "wir uns erst überlegen, was wir überhaupt wollen". Und nicht zuletzt sei es unverzichtbar, die Lehrerinnen und Lehrer in diese Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

Inklusion "im weiten Sinne"?

Dass der Prozess ein langer sein wird, dem konnte ich zustimmen. Dass "wir" hier in MV erst einmal überlegen müssten, was wir wollen – da horchte ich schon auf. Immerhin hat die Bundesregierung bereits 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, also in gültiges deutsches Recht überführt. Ganz genau spitzte ich dann aber die Ohren bei den Ausführungen des Bildungsministers zur Unterscheidung zwischen dem weiten und dem engen Inklusionsbegriff. Brodkorb sprach sich klar für ein Inklusionsverständnis im weiten Sinne aus, einer "Schule für alle" erteilte er eine klare Absage. "Wir wollen", so Brodkorb, "so weit es geht, dass alle Kinder gemeinsam lernen."

"So weit es geht." Wer bestimmt, wie weit es geht? Insbesondere, wenn fehlende finanzielle Mittel und die mögliche Überlastung der Lehrer im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Und der Minister warnt: "Wir sollten uns davor hüten, uns zu übernehmen. Wir müssen alle zusammen einen Kompromiss zu finden."

Einen Kompromiss? Für wen? Für die Lehrer? Die Politiker? Um die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, von denen in Deutschland immer noch knapp 80 Prozent an Förderschulen unterrichtet werden, ging es jedenfalls nicht. Es sei denn in Hinblick auf ihre Defizite, nicht aber in Hinblick auf Chancengleichheit und Bereicherung für alle. 

Der Inklusion Grenzen setzen?

Das Stimmungsbarometer konnte man auch an den Reaktionen im Auditorium bei der Podiumsdiskussion zur Frage "Braucht Inklusion ein neues Menschenbild?" ablesen. Als Kontrahenten standen sich Dr. Hans Wocken, Professor der Erziehungswissenschaften und Sonderpädagoge (Hamburg), und Prof. Dr. Egon Flaig, Kulturhistoriker (Rostock/Berlin), gegenüber. Während Prof. Wocken die Begriffe Freiheit (als Ausdruck von Selbstbestimmung), Gleichheit (als Gleichheit der Rechte und Werte) und Brüderlichkeit (im Sinne von Zugehörigkeit) der französischen Revolution auf die Inklusionsdebatte übertrug, betonte Prof. Flaig: "Geistig Behinderte können nicht gleichberechtigt am Leben der Gesellschaft teilhaben, sie leiden unter der Inklusion. Hochkulturen müssen selektieren und Eliten bilden." Er verstieg sich zu der Behauptung, dass die Behindertenrechtskonvention nicht auf demokratische Weise zustande gekommen sei, sondern ohne Berücksichtigung des Volkswillens, und somit keine völkerrechtliche Verbindlichkeit trage. Seiner Meinung nach seien die nichtbehinderten Kinder die Leidtragenden der Inklusion. "Man muss der Inklusion Grenzen setzen."

Zu viele Kompromisse

Gemessen an der Länge des Beifalls – insbesondere für Prof. Flaig – scheint die jahrhundertelange Stigmatisierung "Behinderter" immer noch tief in vielen Köpfen zu stecken. Der Weg in eine Inklusive Gesellschaft, zu einer Inklusiven Schule wird lang und steinig sein, auch wenn am Vorabend dieser Veranstaltung Bildungsminister Brodkorb und die vier demokratischen Landtagsfraktionen (SPD, CDU, Linke und Bündnis 90/Die Grünen) sich in einem so genannten "Schulfrieden" auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Inklusion in den Schulen verständigt hatten. Und auch wenn Brodkorb diesen Schulfrieden als einen der größten bildungspolitischen Erfolge der letzten Jahre bewertete – zu oft fiel das Wort "Kompromisse".

Zu wessen Ungunsten werden diese Kompromisse ausgehen? Bin ich zu pessimistisch?

Fakt ist, dass sich die Kultusministerkonferenz (KMK) fast einhellig gegen einen Systemwechsel in der Bildungspolitik ausgesprochen hat. In Rostock wurde in der abschließenden Diskussion aller Kongressteilnehmer immerhin allmählich klar, dass es auch andere Stimmen gibt – jene, die sich ganz deutlich für eine inklusive Bildung aussprachen und auch zeigten, dass das machbar ist.

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