13.03.2010 08:10 (Kommentare: 0)
Schweriner Volkszeitung | 13. März 2010 | 00:10 Uhr | von Antje Bernstein
"Wir kämpfen für unsere Schule": Die Kinder der Schule für individuelle Lebensbewältigung hoffen, weiterhin in Dobbertin unterrichtet werden zu können. Antje Bernstein
PARCHIM/ DOBBERTIN - Von wegen freie Schulwahl. "Das ist Zwang", sagt Nicola Robbin. Sie ist wütend. Das neue Schulgesetz stößt bei ihr auf alles andere als auf Gegenliebe. Nach diesem sollen in Mecklenburg-Vorpommern ab dem kommenden Schuljahr Schüler ab Klasse 5 frei wählen können, in welcher Bildungseinrichtung sie künftig unterrichtet werden wollen. Für Kritiker ist das Gesetz eine Mogelpackung, gar eine massive Bedrohung der Schulstandorte, denn die scheinbar neue Freiheit hat einen entscheidenden Knackpunkt: Die Beförderungskosten zur Wunschschule müssen die Eltern tragen, wenn es sich dabei nicht um die örtlich zuständige Schule handelt. Und das hat schwerwiegende Konsequenzen, denn längst nicht jeder kann sich den finanziellen Mehraufwand leisten. Ein Schulwechsel bleibt so für die Kinder einkommensschwacher Familien unvermeidbar und stellt somit eine Ungleichbehandlung dieser Kinder dar, monieren Eltern und Lehrer.
Nicola Robbin ist Elternvertreterin an der Schule für individuelle Lebensbewältigung des Diakoniewerkes Kloster Dobbertin - einer Einrichtung, die sich derzeit um 57 geistig behinderte Kinder kümmert. Als Schule in freier Trägerschaft ist sie nicht die örtlich zuständige Bildungseinrichtung, muss deshalb im kommenden Schuljahr mit extrem sinkenden Schülerzahlen rechnen. "Wenn man es so krass sehen will, können wir die Schule hier dann schließen", sagt Robbin. Diese Befürchtung haben nicht nur die Eltern. Auch unter den Kindern macht sich die Angst breit, dass sie ihre liebgewonnene Schule verlassen müssen. Für sie wäre es ein besonders harter Schlag, denn für die geistig behinderten Kindern ist eine Umgewöhnung eine große emotionale Belastung. In Dobbertin sind sie angekommen, nun sollen sie aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden, beschreibt Robbin.
Betroffen von der neuen Regelung ist auch die Grebbinerin Julia Giensbach. Ihre Tochter Martha leidet am Asperger Autismus, geht in Dobbertin zur Schule. Um weiterhin die Schülerbeförderung bezahlt zu bekommen, müsste Julia Giens bach ihre Tochter künftig nach Parchim in die Schule schicken, denn die ist für die Grebbinerin als örtlich zuständig ausgewiesen. "Der Wechsel wäre für Martha ein Trauma. Wir würden wieder fünf Schritte zurück fallen", beschreibt die allein erziehende Mutter.
Sie war glücklich, nach langer Zeit endlich die passende Einrichtung für ihre Tochter gefunden zu haben und so selbst auch wieder etwas zur Ruhe gekommen zu sein. Nun soll sich das ändern. "Dabei hatte ich damals gemeinsam mit dem Jugendamt überlegt, was das beste für mein Kind ist und die Wahl fiel auf Dobbertin. Nun soll das nicht mehr wahr sein. Ich fühle mich betrogen", sagt die Grebbinerin. Den Wechsel ihrer Tochter an eine andere Schule will sie um keinen Preis zulassen. "Wenn man so einen Ort für sein Kind gefunden hat, will man ihn auch nicht mehr loslassen", sagt Giensbach. Damit die 11-jährige Martha aber auch weiterhin in Dobbertin zur schule gehen kann müsste ihre Mütter entweder tief in den Geldbeutel greifen oder aber die Schülerbeförderung selbst übernehmen. "Dafür müsste ich dann streckenweise meine Arbeit einstellen", sagt sie.
Folgen könnte das neue Schulgesetz nicht nur für Schüler und Eltern haben. Auch Arbeitsplätze sind in Gefahr. Denn wo keine Schüler sind, braucht man auch keinen Lehrer. Für die wenigen Mädchen und Jungen, deren Eltern sich die Schülerbeförderung nach Dobbertin leisten können, wird es dann wohl keine Schule mehr geben, schätzt Nicola Robbin. Planen kann die Schulleitung derzeit noch nicht. Sie muss warten, bis alle Eltern sich entschieden haben, ob sie es sich leisten können, ihr Kind in der Dobbertiner Schule zu lassen. Eines steht aber schon jetzt fest: "Wir kämpfen für unsere Schule", sagt Robbin bestimmt.
Kämpfen will auch die Parchimer Paulo-Freire-Schule. Die Pädagogen der freien Schule sehen im neuen Schulgesetz eine soziale Diskriminierung all jener Kinder, deren Eltern sich die Fahrt zur Wunschschule nicht leisten können. Die vermeintlich freie Schulwahl sei vielmehr abhängig vom Geldbeutel als von den tatsächlichen Wünschen der Kinder und Eltern. "Das Problem der Schülerbeförderungskosten bedarf einer dringenden Klärung - politisch und praktisch", fordern Eltern und Pädagogen der Paulo-Freire-Schule.
Eine endgültige Entscheidung, wie die Kostenfrage im Landkreis Parchim ab kommendem Schuljahr gehandhabt werden soll, steht indes noch aus. Die Verwaltung erarbeitet derzeit eine neue Satzung, die den Mitgliedern des Kreistages voraussichtlich in ihrer nächsten Sitzung am 11. Mai zur Abstimmung vorgelegt werden soll.
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