09.03.2010 08:00 (Kommentare: 0)
http://www.mvregio.de/nachrichten_region/380082.html
Schwerin/MVregio Mit den vom Land Mecklenburg-Vorpommern geplanten Neuregelungen zur Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung in der Schülerbeförderung droht eine "soziale Diskriminierung" von Schülerinnen und Schülern aus sozialschwachen Familien.
Zugleich steht die "erfreulich große Vielfalt von profilierten schulischen Angeboten" auf dem Spiel. Darauf haben am 8. März 2010 Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Schulträger in MV, des Konsistoriums der Pommerschen Evangelischen Kirche und des Oberkirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin hingewiesen. Ihr Anliegen und ihre Forderungen haben sie in einem gemeinsam erarbeiteten Positionspapier festgehalten.
Positionspapier der Evangelischen Schulträger im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu den geplanten Regelungen zur Kostenübernahme der Schülerbeförderung ab 1. Juli 2010
Mit der zum 1. Juli 2010 einsetzenden Neuregelung des Umgangs mit den Kosten für die Schülerbeförderung wird in Mecklenburg-Vorpommern eine Ungleichbehandlung von Schülerinnen und Schülern festgeschrieben und die Weiterentwicklung der Qualität von schulischen Bildungsangeboten behindert. Wir sehen mit Sorge insbesondere folgende Gefahren auf die Schullandschaft in unserem Bundesland zukommen:
• Die inzwischen erfreulich große Vielfalt von profilierten schulischen Angeboten sowohl im Bereich der öffentlichen als auch der so genannten "Ersatzschulen" droht durch die Beförderungskostenregelungen wieder zu verschwinden. Dies wird auch negative Auswirkungen auf die vom Schulgesetz mit dem Konzept "selbständige Schule" beabsichtigte Qualitätsentwicklung des schulischen Angebotes insgesamt haben. Das Land Mecklenburg-Vorpommern muss aber die Ressource Bildung als entscheidenden Entwicklungsfaktor für die Zukunft des Landes unter allen Umständen stärken und dabei auch scheinbar zweitrangige Faktoren wie die Beförderungskosten im Blick behalten.
• Die mit der Schulgesetznovelle eingeführte Wahlfreiheit des schulischen Angebotes ab der 5. Klasse bleibt durch die Regelungen zur Schülerbeförderung eine Wahlfreiheit auf dem Papier. Die Chance zur Teilhabe an schulischen Angeboten der Wahl wird von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Familie abhängig. Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien bleiben von ihr ausgeschlossen. Dies ist eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung und erfüllt den Tatbestand der sozialen Diskriminierung.
• Die Regelungen zur Schülerbeförderung stellen eine Ungleichbehandlung von Schulen dar, da Schulen, die nicht als "örtlich zuständig" definiert sind, in den Möglichkeiten, ihr Angebot auch über den definierten Einzugsbereich auszuweiten, benachteiligt werden. Eine Entwicklung zur Vielfältigkeit pädagogischer Profile wird damit verhindert.
• Die Regelungen zur Ausnahme von den Erstattungsbestimmungen in § 113 SchulG MV ("besondere schulische Angebote") sind darüber hinaus einseitig an den "Starken" orientiert (Hochbegabte, musisch und sportlich begabte Schülerinnen und Schüler). Auch dies widerspricht dem Gebot der Gleichbehandlung und stellt eine Benachteiligung anderer Schülerinnen und Schüler (z.B. mit erhöhtem Förderbedarf) dar.
• Für die Grundschule gilt die Wahlfreiheit des schulischen Angebotes nicht, dennoch sollen die Beförderungsregelungen auch hier angewandt werden Eine Differenzierung der Kostenübernahme gekoppelt an den Tatbestand der "örtlich zuständigen Schule" im Sinne von § 46 SchulG MV ist systemwidrig, denn dieses Merkmal knüpft an die Freiheit der Schulwahl innerhalb des Schulgesetzes an. Es ist nicht geeignet, dem grundgesetzlich garantierten Wahlrecht der Eltern zugeordnet zu werden und widerspricht dem Sonderungsverbot. Dies erschwert z.B. Schülerinnen und Schülern den Besuch einer Grundschule mit konfessionellem Profil.
• Aber auch über den Grundschulbereich hinaus sehen wir hier eine ungleiche Behandlung der Schülerbeförderung, die den Besuch von Ersatzschulen unter den Vorbehalt einer Sonderung gestellt, die nach Artikel 7 Absatz 4 Grundgesetz unzulässig ist.
• Die Beförderungsregelungen werden insbesondere kleine Schulen in strukturschwachen ländlichen Räumen auf Dauer in ihrer Existenz bedrohen, zumal wenn sie nicht als örtlich zuständig definiert werden (wie z.B. Schulen in freier Trägerschaft). Die von diesen Schulen ermöglichte Orts- und Schülernähe des schulischen Angebotes in einem dünn besiedelten Flächenland ginge verloren.
• Da Schulen in freier Trägerschaft nach der bisherigen Vorlage grundsätzlich nicht "örtlich zuständige Schule" sein können, steht die Existenz aller Förderschulen zur individuellen Lebensbewältigung in freier Trägerschaft (selbst wenn sie die einzige Schule in ihrem Kreis bzw. der kreisfreien Stadt sind - wie z.B. in Wismar / Greifswald / Rügen...) zur Disposition, da hier die wenigsten Eltern bereit bzw. in der Lage sein werden, die zusätzlichen Fahrtkosten selbst zu tragen (zumal dann, wenn die Kinder kostenfrei zur "nächsten" staatlichen Schule gefahren werden).
Wir fordern daher eine unverzügliche Veränderung der beschlossenen Regelungen und halten insbesondere folgende Punkte für dringend:
1. Prinzipiell muss das Recht auf Schülerbeförderung und Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung für alle Schülerinnen und Schüler im Land Mecklenburg-Vorpommern in gleichem Umfang gelten. Dies bezieht sich nicht nur auf den Besuch von Schulen in freier Trägerschaft, sondern aller öffentlichen Schulen.
2. Die Teilhabegerechtigkeit an Bildung als entscheidender Zukunftsressource nicht nur für einzelne Personen, sondern auch für das Land Mecklenburg-Vorpommern muss klar und deutlich für alle Schülerinnen und Schüler auch durch die Regelungen zur Schülerbeförderung gewährleistet werden. Sie darf nicht durch eine unterschiedliche und einseitig an bestimmten Begabungen orientierte Kostenübernahme behindert werden.
3. Für Schülerinnen und Schüler, die eine Schule in freier Trägerschaft besuchen, wird diese als die örtlich zuständige Schule festgesetzt und die entsprechenden Regelungen zur Kostenübernahme werden angewandt.
4. Für die Regelungen zur Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung müssen verbindliche Mindeststandards festgelegt werden. Diese sollten folgende Punkte umfassen:
a) Für die Schülerbeförderung muss grundsätzlich die kostenfreie Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel (Schülerverkehr, Linienbusse, Bahn) gewährleistet werden.
b) Wo keine Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich ist und der Schülerverkehr selbst organisiert werden muss, ist eine kilometerbezogene Erstattung der Aufwendungen bis zur Höhe der vergleichbaren Kosten für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu gewähren. Dies kann u.E. mit der Festlegung einer Obergrenze der Entfernungskilometer verbunden werden. Denkbar wäre auch, dass Landkreise und kreisfreie Städte einen Pool bilden, aus dem diese Kosten bestritten werden.
c) Für Schülerinnen und Schüler, die öffentliche Verkehrsmittel z.B. aufgrund von Handicaps nicht nutzen können, muss die Schülerbeförderung auch weiterhin verlässlich und kostenneutral sichergestellt sein.
5. In diesem Zusammenhang machen wir darauf aufmerksam, dass §§ 10 Absatz 1 Buchstabe c, 17 des Gesetzes zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes und zur Änderung weiterer Gesetze den kommunalen Finanzausgleich für die Schülerbeförderung mit dem gleichen finanziellen Aufwand ausstattet, wie er den Trägern der Schülerbeförderung in den Landkreisen bisher auch zustand. Demnach ist keine Kostenreduzierung der Landesmittel für die Schülerbeförderung vorgesehen. Die Landkreise müssen also bei Beibehaltung der jetzigen Praxis der Schülerbeförderung keine Mehrkosten aufbringen. Die dort geplanten Mittel können für eine gleichmäßige Verteilung an die Landkreise und kreisfreien Städte in bewährter Weise verwandt werden.
BU: Streiten für eine handwerkliche Verbesserung der Regelungen zur Schülerbeförderung: Regierungsbeauftragter Markus Wiechert, Oberkirchenrat Dr. Jürgen Danielowski, AG-Vorsitzender Benjamin Skladny, Kirchenrat Matthias Bartels und Prof. Roland Rosenstock (Elterninitiative "Bildung ist Zukunft MV" (v.l.)
MVregio Landesdienst mv/sn
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