23.10.2009 20:16 (Kommentare: 0)
SPIEGEL ONLINE | 23.10.2009 | Von Jochen Leffers und Birger Menke
Mit kreativer Statistikinterpretation geben die Finanzminister der Länder Hoffnungen auf Milliardenhilfen für bessere Schulen und Hochschulen einen deftigen Dämpfer - exakt ein Jahr nach dem "Bildungsgipfel" in Dresden. Der Schwur der Regierungschefs von Bund und Ländern lautete: Bis 2015 sollen in Deutschland die Gesamtausgaben von Staat und Wirtschaft für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Das hatten auch die Unterhändler von Union und FDP bei den Koalitionsverhandlungen der letzten Tage bekräftigt.
Je nach Berechnung würde das Mehrausgaben von 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten; eine "Strategiegruppe" mit Vertretern der Länder und des Kanzleramtes veranschlagte die Mehrausgaben auf 26 Milliarden jährlich. Jetzt aber verblüffen die Finanzminister mit einer eigenwilligen Rechnung: Das Ziel sei doch bereits erreicht und werde sogar deutlich übertroffen.
Mehr Ausgaben für die Bildung, ohne mehr auszugeben? Um das verstehen zu können, muss man tief eintauchen in die spezielle Logik der Länderfinanzminister. Und bereit sein, mit ihnen Statistiken zu schwenken, zu schütteln und kräftig zu massieren.
Erste Lektion: Wir bedanken uns bei der Wirtschaftskrise. Denn das Zehn-Prozent-Ziel ist direkt gekoppelt an den stark schwankenden Wert des Bruttoinlandsprodukts. Wenn die Wirtschaft einbricht und die Wirtschaftskraft sinkt, beziehen sich die zehn Prozent eben auf eine deutlich kleinere Summe - und schon ist man erheblich näher am Ausgabenziel, ohne die Ausgaben zu erhöhen.
Steuererleichterungen werden zu Bildungsausgaben
Das würde allerdings noch nicht reichen für die plötzliche Erfolgsbilanz der Finanzminister. Zweite Lektion: Man braucht zusätzlich auch den starken Willen, "Bildungsausgaben" einmal ganz neu zu definieren - ist nicht alles Bildung, irgendwie? In einer Vorlage der Finanzministerkonferenz (FMK) gibt es dazu nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wegweisende Ideen:
Rechnet man das alles zusammen, wachsen die Bildungs- und Forschungsausgaben über Nacht wundersam um rund neun Milliarden Euro - ohne dass real ein einziger Euro mehr fließt und sich das Bildungssystem tatsächlich verbessert. In ihrem "Beratungsergebnis" stellten die Finanzminister der Länder in ihrer Sitzung am 3. September ausdrücklich fest, auch der Bundesfinanzminister habe sein "Einvernehmen" zu den neuen Berechnungen erklärt. Ihre Botschaft an die schwarz-gelbe Koalition lautet nun: Fünfjahresplan übererfüllt, die Kassen sind leer, höhere Ausgaben für Bildung unnötig.
Finanz- und Bildungsminister auf Kollisionskurs
Damit lassen die Finanzminister auch das einzige greifbare Ergebnis des "Bildungsgipfels" absurd erscheinen. 2008 war Bundeskanzlerin Angela Merkel medienwirksam zu einer "Bildungsreise" quer durch die Länder aufgebrochen, hatte die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen und sodann mit den Regierungschefs der Länder ein paar Stunden gegipfelt. Es wurde eine Heißluftveranstaltung mit viel Getöse und wenig Getue, ein Symbol für die Verkrautung des Landes.
Jetzt erweitern die Länderfinanzminister fantasievoll ihren Bildungsbegriff und konterkarieren damit alle Absichtserklärungen der schwarz-gelben Koalition zu den "Zukunftsinvestitionen" in Bildung und Forschung. Die Vorlage der Finanzminister war von den Ministerpräsidenten der Länder angefordert worden. Sie wollen in der nächsten Woche in Mainz einen Zwischenbericht über die "Qualifizierungsinitiative für Deutschland" diskutieren, die Merkel beim Bildungsgipfel mit den Ländern vereinbart hatte.
Die Bildungsminister hatten ebenfalls einen "ersten Zwischenbericht" vorgelegt und ziehen darin eine überaus positive Bilanz. So seien die Ausgaben für Bildung und Forschung in fast allen Landeshaushalten wie auch beim Bund deutlich gestiegen. Es gebe mehr Ganztagsschulen und mehr Lehrer; bundesweit werde ein Trend zu kleineren Klassen deutlich. Der Bund listet in einer Zwischenbilanz Extra-Ausgaben auf, etwa für höheres Studenten- und Meister-Bafög, mehr Hilfen für bedürftige Kinder ("Schulstarterpaket") sowie Milliardeninvestitionen für Sanierung und Wärmeisolierung von Kindergärten, Sporthallen, Schulen und Hochschulen.
"Da helfen keine Taschenspielertricks"
Demnach werden die mit dem Schülerrückgang verbundenen Einsparungen in den Ländern ("demografische Rendite") größtenteils zu Qualitätsverbesserungen genutzt - so etwa zum Ausbau frühkindlicher Bildung, Finanzierung von Schulsozialarbeit oder Maßnahmen zur Vermeidung von Schulabbruch. Diese "demografische Rendite" indes wollen die Finanzminister lieber für die Landeskassen einsammeln. Statt an der Wirtschaftsleistung möchten sie die Bildungsausgaben künftig je Bildungsteilnehmer messen, also pro Kopf eines Schülers oder Studenten - Einsparungen würde ihnen das gewiss erleichtern.
Die Finanzminister sind mit der Gesamtsituation unzufrieden. Ihnen schmecken höhere Bildungsinvestitionen angesichts der Nöte der Länder überhaupt nicht, sie wollen andere Prioritäten setzen - zum großen Verdruss der Bildungsminister. So kritisierte Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) die Rechenspiele als "reine Kosmetik": "Wenn wir den Geist des Bildungsgipfels ernst nehmen, müssen wir dafür sorgen, dass mehr Geld bei Schulen, Hochschulen und in der Forschung ankommt. Alles andere ist unredlich."
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor "Zahlenakrobatik". Wer "bildungsferne Aspekte" mit einkalkuliere, nur um sich vermeintlich rasch dem Zehn-Prozent-Ziel zu nähern, täusche die Öffentlichkeit, sagte die Vize-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Priska Hinz, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, nannte die Position der Finanzminister "skandalös": "Damit die Qualität der Schulen besser wird, brauchen wir mehr Ganztagsschulen, Sozialpädagogen und Förderung für Migranten. Da helfen nur zusätzliche Investitionen und keine Taschenspielertricks."
Auch Petra Sitte von der Fraktion der Linken im Bundestag sprach von einer "Verdummung der Menschen" - "vielleicht werden künftig auch noch Betreuungszeiten von Oma und Opa als ehrenamtliche Leistung angerechnet".
Mit Material von dpa
Einen Kommentar schreiben