18.03.2011 09:00 (Kommentare: 0)
Ostseezeitung |MANTEL/TITEL vom 18.03.2011
Schwerin Der Vorsitzende des Landeselternrats, Holger Kohlhause, ist zurückgetreten. Der OZ begründete Kohlhause seinen Rückzug mit massiver öffentlicher Kritik an seiner Amtsführung. Kohlhause hatte im Streit um die Eingliederung von lernschwachen Förderschülern Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) scharf attackiert. Durch das Abbrechen eines Schulversuches habe der Regierungschef Eltern, Lehrer und Schüler erheblich verunsichert, hatte Kohlhause erklärt. Seit Beginn dieses Schuljahres werden auf Weisung von Bildungsminister Henry Tesch (CDU) 164 lernschwache Förderschüler an Regelschulen im gesamten Land unterrichtet. Nachdem Kohlhause Tesch verteidigt hatte, sah er sich breiter Kritik ausgesetzt. Kohlhause sagte, Schulpolitik werde zurzeit auf dem Rücken von Kindern ausgetragen. „Das ist mit mir nicht zu machen. Das Maß ist voll.“
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Schwerin Erst ein „rasierter“ Kultusminister, nun ein zurückgetretener Landeselternratsvorsitzender: Der Streit um das Eingliedern von lernschwachen Förderschülern in Grundschulen weitet sich zur Schlammschlacht mit grotesken Zügen aus. Der Landeselternratsvorsitzende Holger Kohlhause erklärte gestern seinen Rücktritt.
In einer knappen Mail an den Landeselternrat, die der OZ vorliegt, nannte Kohlhause „persönliche Gründe“. Die Kritik an seiner Person habe ihm zuletzt so stark zugesetzt, dass ihm nur der Rücktritt geblieben sei, erklärte Kohlhause der OZ. Schulpolitik werde zurzeit auf dem Rücken von Kindern ausgetragen. „Das ist mit mir nicht zu machen. Das Maß ist voll.“ Hintergrund: Am vergangenen Freitag hatte Kohlhause in einem OZ-Interview scharfe Kritik an Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) geübt. Kohlhause warf dem Regierungschef vor, einen Schulversuch von Kultusminister Henry Tesch (CDU) zurückgepfiffen und damit erhebliche Verwirrung unter Eltern, Lehrern und Schülern gestiftet zu haben. Seit Beginn dieses Schuljahrs werden 164 lernschwache Förderschüler im Land an Regelschulen unterrichtet. Sellering hatte sein Eingreifen (das dritte gegen Tesch in nur wenigen Monaten) damit erklärt, der Bildungsminister habe Lehrer und Eltern nur unzureichend informiert beziehungsweise geschult. Dies bestritt Kohlhause. Jetzt kam es zum Knall.
Kohlhause sah sich vor dem Rücktritt massiver Kritik auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Die Vorsitzende des Greifswalder Stadtelternrats, Claudia Metz, hatte die Sellering-
Schelte als falsch zurückgewiesen und von einer „überhasteten Integration“ gesprochen. Die Vorsitzende des Kreiselternrats Rügen, Andrea Kähler, hatte erklärt, sie sei froh, dass es durch Sellering „zum Eklat gekommen ist“. Unverständnis an Kohlhause kam auch vom Städte- und Gemeindetag.
Laut Kohlhause ist die Kritik nicht der Hauptgrund für seinen Rücktritt. „Es geht mir um die Kinder. Sollen die nun an die Förderschulen zurück? Ich wünsche mir, dass die Schulen, die von dem Projekt überzeugt sind, dies auch weiter umsetzen dürfen.“ Bis zur Wahl eines Nachfolgers im Herbst führt Stellvertreter Torsten Werner kommissarisch den Landeselternrat. Tesch äußerte in einer ersten Reaktion sein Bedauern über den Rücktritt.
Derweil dringen aus der Schweriner Koalition immer mehr Details ans Licht. Aus gut informierten CDU-Kreisen hieß es, Tesch habe „einmal mehr ein gutes Projekt durch mangelnde Kommunikation und schlampige Umsetzung vermasselt“. In einer Kabinettssitzung am Dienstag vergangener Woche habe selbst CDU-Landeschef Lorenz Caffier das Eingreifen Sellerings begrüßt. Caffier sei „seinem eigenen Parteifreund Tesch in den Rücken gefallen“. Auch von statistischen Tricks ist die Rede. So würden Förderschüler automatisch als Schulabbrecher registriert.
SPD-Bildungsexperte Mathias Brodkorb verteidigte das Einschreiten Sellerings. Etwa fünf Prozent aller Grundschüler im Land seien Förderschüler mit Lernbeeinträchtigungen. Das Bildungsministerium habe diese Schüler im ganzen Land auf Grundschulen verteilt, ohne dass die Lehrer zuvor eine ausreichende Fortbildung für neue Lehrmethoden erhalten hätten. Auf Rügen gebe es zwar ein neues Unterrichtskonzept. Die wissenschaftliche Auswertung liege allerdings frühestens in ein bis zwei Jahren vor.
MV hat die meisten Förderschüler
Nirgendwo werden so viele Kinder und Jugendliche auf Förderschulen unterrichtet wie in Mecklenburg- Vorpommern. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung liegt der Nordosten mit einer Quote von 10,8 Prozent bei lernschwachen Schülern bundesweit an der Spitze. Deutschlandweit sind es nur 5,8 Prozent.
15,2 Prozent aller Schulabgänger verließen im Nordosten nach Angaben der Universität Rostock im Schuljahr 2007/2008 die Einrichtung ohne Hauptschulabschluss — im Bundesdurchschnitt waren es zehn Prozent.
In keinem anderen Bundesland brechen damit im Schnitt mehr Jugendliche die Schule ab als in MV. 2009 blieben 1617 der insgesamt 13 000 Schulabgänger im Land ohne Abschluss. Mit einer Quote von 14,1 Prozent landete der Nordosten 2010 im Länder-Ranking auf dem letzten Platz. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt liegt bei sieben Prozent.
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