01.04.2009 10:57 (Kommentare: 0)
Zuarbeit zum Workshop 6 vom Referenten 2 / Nils Kleemann
Das neue Schulgesetz: Mit schülerbezogene Mittelzuweisung zu mehr Gerechtigkeit?
Die Umstellung von einer klassenbezogenen Stundenzuweisung zu einer schülerbezogenen Zuweisung wird schon länger in Politik und Verwaltung diskutiert. In Bezug auf Planungssicherheit und Vereinbarkeit kontinuierlicher Klassenbildung an den Schulen kann das Modell unter bestimmten Faktoren der Schritt in die richtige Richtung sein. Das neue Schulgesetz, die UntVerVO 2009/2010 und die KontStTVO M-V geben im Rahmen der selbstständigen Schule mehr Freiraum für Klassenbildung und Unterrichtsgestaltung.
Derzeit bedingen eine Reihe von Problemen in den allgemeinbildenden Schulbereichen und den Bereichen zur sonderpädagogischen Förderung zeitnahe Veränderungen in unserem Bundesland. Unter diesem Aspekt ist die Umsetzung der schülerbezogenen Zuweisung auf der Grundlage der Haushaltsneutralität zu hinterfragen:
§ 1 Abs. 1 und 2; § 2 Abs. 1 und 2; § 3 und § 4 Abs. 1 – 9 des neuen Schulgesetzes M-V fordert das Recht auf Bildung und klärt den Auftrag der Schule. Um diesem gesetzlichen Anspruch Rechnung tragen zu können, müssen Schulen jedoch bessere Rahmenbedingungen an die Hand gegeben werden.
Im Schulgesetz wird die neue Form der Mittelzuweisung mit dem Begriff der „Gerechtigkeit“ verbunden. Der Begriff „Gerechtigkeit“ wird in den Lexika mit Blick auf religiöse, politische, gesellschaftliche oder familiäre Zusammenhänge unterschiedlich definiert. In meiner Wahrnehmung gehe ich von einem Zusammenleben aus, welches den Interessen und Chancen der Beteiligten gerecht wird.
Am Vormittag stand die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Mittelpunkt des Vortrags von Herrn Prof. Dr. B. Hartke. Die anschließende Diskussion zeigte Handlungsbedarf. Es wurde herausgestellt, dass andere Länder und Bundesländer mehr zieldifferenzierte Schüler integrieren.
Die Rahmenbedingungen auf der Grundlage des SchulG M-V vom 13. Februar 2009 und der UntVerVO 2009/2010 (staatliche Schulen) zeigen, dass Schüler mit einem sonderpädagogischem Förderbedarf, zieldifferenziert einen Faktor von 2.808 bis 4,025 erhalten, wenn sie eine Förderschule besuchen.
Nach meiner Einschätzung sind diese Faktoren zu niedrig, sodass die Förderschulen den Zielen in den Paragrafen 1 bis 4 des neuen Schulgesetzes nicht gerecht werden können und die geforderte Gerechtigkeit nicht erfüllt wird. Das Bildungsministerium geht beispielsweise bei der Klassenbildung an einer Förderschule von 12 bis 15 Förderschülern aus. Dies sind jedoch zu viele Schüler, um noch einen sinnvollen Unterricht durchführen zu können. In Finnland, der Schweiz und zukünftig auch in einigen deutschen Bundesländern werden mit dieser Bandbreite Eingangsklassen in allgemein bildenden Schulen gebildet.
Die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (zieldifferenziert) in M-V erhalten im Rahmen der Integration in einer GU-Klasse jedoch nur einen Stunden/Faktor von 1.827.
(Beispiel: zweizügige Grundschule/Klasse 1; Betrag/Sockel 10,50 geteilt durch zwei; 5,25 geteilt durch 25 = 0,21; 0,21 plus Faktor für Grundschüler = 0,806; 0,827 plus Richtwert für Gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Schüler (GU-Klassen) von 1,000 (siehe UntVerVO MV 2009/2010; Seite 8, 9 und 12)
Folge:
Schüler mit geistiger Behinderung in Förderschule: 4,025 Stunden/Faktor
Schüler mit geistiger Behinderung in GU-Klasse: 1,827 Stunden/Faktor
Dieses Beispiel habe ich schon im Rahmen einer Veranstaltung der Bildungsinitiative www.mv-bildung-ist-zukunft.de verwendet. Aussage bei der Diskussion zur heutigen Veranstaltung war: „Integration wird nicht als Sparmodell genutzt!“.
Durch integrative Modelle werden in Zukunft in unserem Bundesland (Beispiele lassen sich fortsetzen) in allen Förderschwerpunkten der UntVerVO 2009/2010 Seite 9 in Bezug auf die Beschulung in einer Förderschule Einsparungen ermöglicht. Ich betone noch einmal, nach meiner Einschätzung reicht die Ausstattung der Förderschule nicht aus, um den vom Gesetzgeber gestellten Auftrag zu erfüllen.
Gerne möchte ich hier aber zunächst der Frage nachgehen, ob nicht die Bedingungen der allgemeinbildenden Schulen so günstig sind, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit dem Anspruch des SchulG M-V (§ 1 - 4) integriert werden können.
Hier rechne ich nach der UntVerVO 2009/2010 eine „Gewinnerschule“, also eine Schule, welche nach der Umstellung von einer klassenbezogenen auf die schülerbezogene Stundenzuweisung mehr Stunden im Grundbedarf erhält(Beispiel: zweizügige Schule mit durchschnittlich 25 Schülern).
Der Freiraum dieser selbstständigen staatlichen Schule bedeutet:
In Klasse 1 und 2 wären auf der Grundlage der UntVerVO 2009/2010 und der KontAtTVO M-V drei Teilungsstunden möglich. In Klassenstufe 3 und 4 sind es 3,4 Teilungsstunden.
Sollte beispielsweise in einer dritten Klasse ein Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf integriert sein, sind folgende Rahmenbedingungen denkbar:
Für drei Stunden beginnenden Fremdsprachenunterricht werden in Teilungsstunden genutzt (Ist für den erfolgreichen Einstieg in die erste Fremdsprache aus meiner Sicht unbedingt erforderlich)
23 Wochenstunden werden im Klassenverband mit 25 Schülern und einem Lehrer unterrichtet. Dem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf steht in der gesamten Woche eine Stunde Einzelförderung zur Verfügung.
Weitere positiv wirkende Faktoren wären zum Beispiel in Finnland: Inklusion/ Die Schülerkostensätze je Schüler an allgemeinbildenden Schulen sind in Finnland in Höhe von etwas höher als 8.000,- € pro Jahr je Schüler und auch moderatere Lehrerarbeitszeit (Anwesenheitszeit der Lehrer und der Umfang von Unterrichtsstunden sind in Finnland sehr viel geringer. Zum Beispiel haben Grundschullehrer 20 Unterrichtsstunden oder Sekundarstufenlehrer nur 14 Unterrichtswochenstunden plus weiterer Lehrerarbeitszeit mit anderen Aufgabenstellungen, wie z.B. Elterngespräche, Teamsitzungen, usw.) In den Schülerkostensatz von 8.000,- € je Schüler ist die Institution der Schülerfürsorge, die die Einzelschule unterstützt (Schulpsychologe, Kinderkrankenschwester, Sonderschulpädagogen und Assistenten an der Schule) nicht eingerechnet.
Im Vergleich zu Finnland muss ein Schulpsychologe im Schulamtsbereich Greifswald das Neunfache an Schülern betreuen.
Nach meiner Einschätzung ist diese Form der Integration unverantwortlich und steht nicht im Einklang mit dem Anspruch der Verordnung des Bildungsministeriums vom Mai 2000, welche die sächlichen, personellen und finanziellen Vorraussetzungen für einen integrativen Unterricht einfordert.
Die Montessori-Schule Greifswald integriert seit Schulgründung (1994) Kinder mit geistiger Behinderung. Diese Form der Integration von zieldifferenzierten Kindern ist in Gefahr.
Zum Ende meines Vortrages möchte ich noch auf eine Forderung der UNESCO – Weltkonferenz zum Thema „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ eingehen (1994).
Ich zitiere aus der Übersetzung der österreichischen UNESCO – Kommission:
„ … geht davon aus, dass menschliche Unterschiede normal sind, dass das Lernen daher an das Kind angepasst werden muss und sich nicht umgekehrt das Kind nach vorbestimmten Annahmen über das Tempo und die Art des Lernprozesses richten soll.“
Neben den Rahmenbedingungen sind bezüglich der Forderung der UNESCO auch unsere Schulkultur, die Strukturen der Schulen und die Verwaltungsabläufe zu überdenken.
Die Idee der Ganztagsschule kann auf diesem Weg mehr Bildungsgerechtigkeit bewirken (siehe auch www.ganztaegig-lernen.de). In der Folge die Integration (Unterscheidet zwischen Kindern mit und ohne Behinderung – bedeutet: die Eingliederung der `ausgesonderten´ Kinder mit Behinderung wird angestrebt!) von der Inklusion (Geht von den individuellen Bedürfnissen eines jeden Kindes aus. Sie tritt ein für das recht aller Schüler und Schülerinnen, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen, sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft) abgegrenzt werden. Derzeit geben die Rahmenbedingungen keine Grundlage für die Inklusion. In § 1 bis 4 fordert das neue SchulG M-V allerdings Inklusion. Es ist deshalb die noch zu erfüllende Aufgabe der Landesregierung Rahmenbedingungen und Schulstrukturen zu schaffen, welche die Schulen in die Lage versetzen, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Eine weitere Aus- und Fortbildung der Lehrerschaft gehört jedoch auch unabdingbar eine weitere noch zu erfüllende Voraussetzung.
Nils Kleemann
Montessorischule Greifswald
Rostock, den 28.März 2009
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